In altertumswissenschaftlichen Texten erscheinen “Identitäten”, grundsätzlich als narrative Instanzen oder Positionen, denen bestimmte Handlungen innerhalb eines bestimmten Handlungsverlaufs zu-gewiesen werden. Dabei handelt es sich in der Regel um Repräsentationen historischer AkteurInnen, welche im erzähltheoretischen Sinne schlicht Figuren oder Charaktere darstellen. Figuren sind konsti-tutive Elemente von Erzählungen, denn eine Handlung ohne Handelnde ist nicht denkbar. Der perso-nal strukturierte Begriff der Figur erschwert indes seine Anwendung auf historiographische Texte. Als Protagonisten treten hier oft nicht Personen, sondern kollektive Entitäten (z.B. Gesellschaften, Völ-ker, Kulturen, Nationen, Klassen) in Erscheinung. Von daher scheint es sinnvoller, in einem allgemei-neren Sinne von (historiographischen) Handlungsträgern zu sprechen. Wie in der Narratologie kate-gorial zwischen realen Personen und literarischen Figuren unterschieden wird, so gilt es gleichsam auch für die Historiographie zwischen historischen AkteurInnen und historiographischen Handlungs-trägern zu unterscheiden. Zwischen beiden besteht eine fundamentale Differenz: Es handelt sich nicht um ein Entsprechungs- oder Abbildverhältnis.
Mein Vortrag beschäftigt sich dabei vornehmlich mit der Frage, welche Entitäten (oder welche Klasse von Entitäten) in der Historiographie überhaupt als Handlungsträger in Betracht gezogen werden können und wie (bzw. aufgrund welcher Verfahren) diese zuvor konstituiert worden sind. Als Beispiel fungieren dabei historiographische Abhandlungen zum Alten Orient aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert.