Die Entwicklung von hegemonialen zu “imperialen” Herrschaftspraktiken sowie der sich durch Expansion und Gebietsverluste stetig verändernde Herrschaftsraum über Poleis des Ägäisbereichs machen den Ersten Attischen Seebund zu einem hervorragenden Beispiel, um die Formation und Transformation von Raum und Wissen zu untersuchen.
Zuerst soll dabei die Anwendung theoretischer Raumkonzepte auf die Geschichte des Seebunds bei MORRIS (2009) und MÜNKLER (2005) mithilfe der Begriffe “Raumwissen” und “Wissensraum” kritisch reflektiert werden.
Obgleich MORRIS und MÜNKLER in der Theorie explizit die Diskrepanzen zwischen ihrem eigenen und antikem “Raumwissen” und “Wissensräumen” darlegen, bleibt die Anwendung dieser Vorüberlegungen in ihren Analysen aus.
So bezeichnen beide den Herrschaftsraum als klein, ohne das sich wandelnde “Raumwissen” im sich ebenfalls verändernden “Wissensraum” Seebund anhand antiker Quellen zu überprüfen (“Mikroherrschaft”). Bei MORRIS werden geographischer Raum und homogener Kulturraum zu einem “Wissensraum”, den er in Analogie zu neuzeitlichen Formationen Staat nennt (“Staat”). Diese Zuordnung erfolgt ohne eine Beantwortung der Frage danach, ob die Bewohner dieses Herrschaftsraumes tatsächlich eine gemeinsame ionische Identität verbindet. MÜNKLER erkennt die Praktiken athenischer Imperialpolitik glasklar im Geschichtswerk des Thukydides. Er wertet dessen narratives Raumwissen über den Seebund durch sein eigenes Raum- und Zeitverständnis als reines Abstraktum (“Imperium im Text”). Dabei übersieht er, dass dieses Wissen dem konkreten “Wissensraum” Seebund entspringt und diesen gleichsam abbildet.
Im zweiten Teil der Untersuchung soll versucht werden, die von MORRIS und MÜNKLER ungenügend beantworteten Fragen zum antiken Verhältnis von Raum und Wissen erneut an die antiken Quellen des Seebunds zu stellen. Die Begriffe “Raumwissen” und “Wissensraum” sollen dabei angewendet und die vorher aufgezeigten Diskrepanzen berücksichtigt werden.
Anhand der Ergebnisse dieser Analyse soll abschließend diskutiert werden, ob diese Diskrepanzen tatsächlich auf der Vermischung antiker und zeitgenössischer Raum- und Wissensperspektiven oder aber auf anderen Faktoren wie dem Wesen antiker Quellen oder den Grenzen theoretischer Raumkonzepte basieren.

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Bibliographie:

  • Münkler, Herfried: Imperien – Die Logik der Weltherrschaft, Berlin 2005.
  • Morris, Ian: “The Greater Athenian State”, in: ders./Walter Scheidel (Hgg.): The Dynamics of Ancient Empires – State Power from Assyria to Byzantium, Oxford 2009, S. 99-177.