Obwohl der Identitätsbegriff im Diskurs der modernen Geistes- und Sozialwissenschaften eine vielfältige Verwendung findet und sich dabei überwiegend eine narrativ-konstruktivistische Untersuchungsperspektive durchgesetzt hat, bleibt sein analytischer und heuristischer Wert umstritten. Kritiker bemängeln insbesondere die mit diesem Begriff verbundenen statischen, essentialistischen und homogenisierenden Hintergrundbedeutungen. Diese Vorbehalte verstärken sich noch, wenn mit dem Begriff der kollektiven Identität gearbeitet wird. Nicht nur wegen der Gefahr der Hypostasierung sozialer Beziehungen, sondern auch wegen vorgeblicher kollektivistischer Wertprämissen wird dieser Begriff mit Argwohn betrachtet. Er gilt deshalb einigen – zumindest bezogen auf moderne Gesellschaften – als bloßes Trugbild. Andere sehen in ihm gar einen “unheimlichen” Begriff. Diese ideologiekritische Sichtweise ist sicher weiterhin in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten von Bedeutung. Im Vortrag wird jedoch darüber hinausgehend gefragt, auf welche transdisziplinär zu bearbeitenden Probleme mit dem Begriff der kollektiven Identität sinnvoll rekurriert werden kann. In Anschluss an Durkheims Konzept des Kollektivbewusstseins sollen mehrere relevante Bedeutungen von “kollektiver Identität” unterschieden werden. Die hier vorgeschlagenen begrifflichen Präzisierungen werden genutzt, um gängige Unterscheidungen der historisch-sozialwissenschaftlichen Forschung, etwa zwischen “geschichtlich gewachsenen” und “gemachten”, “räumlich gebundenen” und “räumlich entankerten” sozialen Gebilden, ein Stück weit in Frage zu stellen. Trotz aller Pluralisierungs- und Entgrenzungstendenzen in der Moderne, so die These, bleiben gemeinsame Raumbilder und räumliche Artefakte wichtige Stützpfeiler für die kollektive Identitätsbildung. Die ideologiekritische Dekonstruktion verfehlt die lebensweltlich-sozialintegrative Funktion solcher Prozesse räumlicher Reifikation. Das gilt gerade auch für das Feld des Politischen. Politik ist ohne – räumlich in Szene gesetzte – gruppenbezogene Loyalitäten nicht denkbar.