Sammlungen und Museen sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten als Räume der Wissensproduktion wieder entdeckt worden. Der Fokus lag dabei zumeist auf strukturellen Homologien zwischen Sammlung und Labor. Darüber gerät leicht in Vergessenheit, dass Sammlungen neben der Generierung von Wissen auch zahlreiche weitere Funktionen erfüllen: Sie erlauben einen Blick auf die Theatralität von Wissen, die Konstruktion von Evidenz oder die Ressourcen wissenschaftlicher Identitätsbildung. Ihre Objekte lassen sich so als materielle Kristallisationspunkte von Denkkollektiven und Wissenskulturen untersuchen.

Der Vortrag illustriert dies am Beispiel des Academischen Museums (1773-1840) der Universität Göttingen. Diese Aufklärungssammlung bildete eine zentrale “contact zone” von Akademikern und Amateuren, Buchwissen und Dingwissen, von Wunderkammer und Forschungssammlung. Sie brachte neue Akteursgruppen, neue Evidenzprinzipien und neue Wissensfelder an die junge Reformuniversität. Mit den archäologischen, ethnologischen und kunsthistorischen Objekten kamen Forschungen an die Universität, die bisher außerhalb der akademischen Tradition praktiziert wurden. Neue Disziplinen wie die Völkerkunde, die Botanik oder die Archäologie entstanden als eigenständige Fächer in enger Verknüpfung mit den jeweiligen Sammlungen. Die Dinge verliehen neuen Wissensfeldern eine unbestreitbare Materialität und “naturalisierten” deren kulturelle Konstruktion. Als “disciplinary objects” (Kirshenblatt-Gimblett) strukturierten und markierten die Exponate Wissensfelder und –praktiken. Sie wurden so selbst zu Akteuren, die den Wissensbetrieb und seine Ausdifferenzierung bis heute mitprägen. Den Sammlungen kam damit neben ihrer Funktion als Forschungsressource eine zentrale – wenn nicht die Schlüsselrolle – im Prozess der Ausdifferenzierung akademischer Felder und Fächer zu.